Das 50. Duell
Während Jahren war Rafael Nadal der Albtraum von Roger Federer, er hat ihm bittere Niederlagen zugefügt und verhindert, dass sein Vermächtnis noch grösser geworden ist, als es ohnehin schon ist. Die Dynamik hat sich längst verändert und Federer acht der letzten neun Duelle gewonnen. Längst ist nicht mehr Nadal das grösste Hindernis auf dem Weg zu Ruhm und Erfolg, sondern Novak Djokovic.
Seit den US Open 2010 in New York verlor Federer neun der elf Duelle bei Grand-Slam-Turnieren, vier Mal in einem Final, drei Mal vergab er je zwei Matchbälle – bei den US Open 2010 und 2011 in den Halbfinals, im letzten Jahr im Final von Wimbledon. In den Halbfinals der Australian Open wird das nächste Kapitel zwischen den beiden aufgeschlagen, es wird das 50. Duell in ihrer Rivalität.
Roger Federers Weg war ein steiniger. Er musste in der dritten Runde gegen den Australier John Millman über vier Stunden kämpfen, ehe sein Sieg nach fünf Sätzen feststand. In den Viertelfinals wehrte er gegen den 28-jährigen Amerikaner Tennys Sandgren (ATP 100) sieben Matchbälle ab, ehe er sich nach 3:31 Stunden Spielzeit mit 6:3, 2:6, 2:6, 7:6, 6:3 durchsetzte:
Matchball-Abwehr, Schmerzen und verbale Ausraster: die wichtigsten Momente von Roger Federers Viertelfinal-Spiel gegen Tennys Sandgren
Zum 24. Mal gelang es ihm, ein Spiel zu gewinnen, in dem er Matchbälle gegen sich hatte, zum zweiten Mal nach 2003 gegen den Australier Scott Draper in Cincinnati, waren es gleich deren sieben. Ab Mitte des zweiten Satzes kämpfte Federer nicht nur mit dem Gegner, sondern auch mit seinem Körper.
Ihm machten die Adduktoren und die Leisten zu schaffen, genauer konnte oder wollte er es nicht sagen. Es wäre ein Zeichen von Schwäche. «Und Schwächen willst du nicht zeigen», sagt Federer.
48 Stunden Zeit bleiben ihm bis zum Halbfinal. Besonders gefordert ist nun Federers Physiotherapeut, Daniel Troxler. Er werde aber auch einen Arzt vor Ort konsultieren und Absprachen mit seinem Schweizer Vertrauensarzt, Roland Biedert, treffen. Obwohl noch im Ungewissen, glaubt Federer daran, die Probleme rechtzeitig in den Griff zu bekommen.
Emotional habe er wenig Energie verbraucht, weil er akzeptiert habe, dass sich die Dinge nicht so entwickelten, wie er sich das vorgestellt habe. Er glaube schliesslich an Wunder. Die Wende bezeichnete er denn auch als eine der mirakulösesten und verrücktesten, die ihm je gelungen seien. Sie nähren auch Hoffnung und Glauben, das Turnier als Sieger zu verlassen.
Zwei Siege trennen Federer vom 21. Grand-Slam-Titel. Doch die Aufgabe, die ihn sich ihm nun stellt, scheint fast unlösbar. Federer spielt nicht nur gegen seinen Körper, sondern auch gegen Novak Djokovic, den Mann, der zu seinem grössten Rivalen geworden ist, und die Dämonen der jüngeren Vergangenheit. Und wie es so ist, wenn ein Grand-Slam-Turnier gespielt wird, steht noch ein bisschen mehr auf dem Spiel, liegt noch ein bisschen mehr in der Luft.
Es geht dabei immer auch um die immer gleiche Frage, wer denn der beste Tennisspieler der Epoche, ja wahrscheinlich der Geschichte ist: Roger Federer, Novak Djokovic oder Rafael Nadal?
Nadal und Djokovic haben Federer im Visier
Die Zeit wird dereinst darüber richten. Der Moment spricht für Federer: 20 Grand-Slam-Titel, 103 Turniersiege, und 310 Wochen an der Spitze der Weltrangliste – das sind die Zahlen, an denen sich Nadal und Djokovic messen. Nadal könnte Federers Marke bereits am Sonntag egalisieren. Ihre Rivalität gilt als eine der grössten in der Geschichte des Sports, weil ihre Stile gegensätzlicher nicht sein könnten.
Weil sie sich über Jahre auf den grössten Bühnen duelliert haben. Weil sie für Werte stehen, die sie zu Idolen einer ganzen Generation gemacht haben. Und nicht zuletzt deshalb, weil aus Rivalen auf dem Platz Freunde im Leben geworden sind.
Novak Djokovic stand immer in ihrem Schatten. Auch deshalb hat er nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihn nur interessiert, der Beste zu sein. Sein Trainer Goran Ivanisevic sagte in Melbourne: «Ein Final reicht ihm nicht. Nur der Sieg ist für Novak gut genug.» Seit frühster Jugend wird er vom Ehrgeiz getrieben, Spuren zu hinterlassen. Er lechzt nach Siegen und Anerkennung. Es ist die Geschichte seines Lebens.
Er wird respektiert und bewundert, so verehrt wie Federer und Nadal wird er aber nur in seiner Heimat Serbien. Andernorts löst der verbissene Ehrgeiz, der jede Faser seines Seins durchdringt, zum Teil befremden aus. Dabei kontrastiert das Bild des unerbittlichen Kämpfers auf dem Tennisplatz mit dem, was Djokovic daneben verkörpert: Charmant, eloquent, reflektiert.
Der beste der Dekade
Nüchtern betrachtet spielten Nadal und vor allem Federer in der letzten Dekade nur die zweite und dritte Geige. Den Ton gibt Novak Djokovic an, auch wenn Nadal in der Weltrangliste derzeit wieder vor ihm liegt. Seit 2011 dominiert der Serbe das Männer-Tennis mit Unterbrüchen. Er hat 15 der letzten 35 Grand-Slam-Titel gewonnen, Nadal 10, Federer 4. Und doch kämpft er weiter um Anerkennung.
Das spiegelt sich auch auch in seinem Spiel wider. Djokovic besticht mit Beharrlichkeit, Ausdauer und Präzision. Es sind die Qualitäten eines Gladiators, als das er sich selber inszeniert. Einer, der ausgezogen ist, um in den grössten Arenen ums Überleben zu kämpfen. Es hat ihn zum Besten gemacht. Das zeigt auch seine Bilanz in den Grand-Slam-Finals: Er hat 13 seiner 16 Titel gegen einen Konkurrenten aus den so genannten «Big Four» geholt (Federer, Nadal, Djokovic, Murray). Bei Nadal waren es 9 von 18, bei Federer gar nur 7 von 20.
Roger Federer weiss, wie schwierig es ist, Novak Djokovic zu bezwingen. Die Liste ihrer 49 Duelle ist voller kleinerer und grösserer Dramen. Längst ist die Begegnung der beiden zu einem der grössten Klassiker geworden. Niemand spielte an den vier Grand-Slam-Turnieren öfters gegeneinander als die beiden. 10 von 16 Spielen gewann der Serbe, darunter die letzten 5. Seit dem Wimbledon-Halbfinal 2012 wartet Federer bei einem Grand-Slam-Turnier auf einen Sieg gegen den Serben.
Am gleichen Ort sagte Djokovic im letzten Sommer: «Ich habe schon genug erreicht, um von einem Moment auf den anderen aufzuhören. Doch ich tue es aus zwei Gründen nicht: Erstens macht es mir Spass, und zweitens möchte ich Geschichte schreiben. Ich möchte so viele Grand-Slam-Titel holen wie möglich, und ich möchte auch den Weltranglistenrekord.»
Roger Federer spielt gegen Novak Djokovic nicht nur um einen Sieg. Sondern auch gegen seinen ungeliebten Rivalen. Seinen Körper. Und die Dämonen der Vergangenheit. Und auf dem Spiel steht die Geschichte.