Wie das Internet das Privateigentum abschafft
Stellt euch vor, ihr geht in einen Kleiderladen und kauft dort einen Hut. Auf dem Weg zur Kasse stellt ihr fest, dass es auf der Innenseite dieses Hutes eine Notiz hat, auf der steht: «Dieser Hut wird dir nicht verkauft, du kriegst bloss eine Lizenz, ihn zu tragen. Du kannst ihn zwar tragen, so oft wie du willst, aber du darfst ihn nicht wiederverkaufen, ausleihen oder ihn auf eine andere Art transferieren, es sei denn, du hast dazu die Erlaubnis des Herstellers.»
«Gehören uns unsere digitalen Güter überhaupt noch?»
Absurd, werdet ihr sagen. Ich habe den Hut doch für gutes Geld gekauft, ergo bin ich der Eigentümer und kann damit anstellen, was ich will. Leider stimmt das in der digitalen Welt so nicht mehr. Kauft ihr bei iTunes Musik oder Filme, oder ladet ihr bei Amazon ein Buch auf euer Kindle herunter, dann bildet ihr euch zwar ein, ihr würdet das nun besitzen wie den erwähnten Hut. Dem ist jedoch nicht so.
In der digitalen Welt ist man nicht mehr Eigentümer, sondern Lizenznehmer. Apple oder Amazon haben euch nichts verkauft, sondern eine Lizenz erteilt, etwas zu benützen. Und diese Lizenz enthält sehr viele Bedingungen, von denen die meisten von uns keine Ahnung haben. Die beiden amerikanischen Juristen Aaron Perzanowski und Jason Schultz haben den Wandel von Eigentümer zu Lizenznehmer in ihren Buch «The End of Ownership» untersucht und kommen dabei zur bangen Grundsatzfrage: «Gehören uns unsere digitalen Güter überhaupt noch?»
Wir wissen in der Regel nicht, worauf wir uns als Lizenznehmer einlassen. Das ist kein Zufall. Die allgemeinen Vertragsbedingungen des Lizenzvertrags umfassen etwa bei iTunes rund 19'000 Wörter. Das ist etwa gleich viel wie beim Theaterstück «Macbeth» von Shakespeare. Daher drücken wir blind auf «akzeptieren».
«Wer würde, wenn er noch alle Tassen im Schrank hat, eine 19’000-Worte-Lizenz durchlesen, bevor er 99 Cents für einen Kauf ausgibt?», fragen sich daher Perzanowski/Schultz. Ganz abgesehen davon, dass es völlig nutzlos wäre. Apple würde seine Lizenzbedingungen niemals abändern, nur weil ihr nicht damit einverstanden seid. Für euch lautet der Deal: Vogel friss – oder stirb!
Die Vorteile von Netflix & Co.
Als Lizenznehmer seid ihr in einer ganz anderen Situation als der Eigentümer. Apple kann euch jederzeit den Zutritt zu iTunes verwehren, oder Amazon hat das Recht, einzelne Bücher auf eurem Kindle zu entfernen oder deren Inhalt zu verändern. Das ist mehr als Theorie. Aus Urheberrechtsgründen hat Amazon dies einst mit der Kindle-Version von George Orwells Roman «1984» getan.
Lizenznehmer zu sein hat natürlich auch grosse Vorteile. Für einen bescheidenen Monatsbeitrag habt ihr bei Spotify Zutritt zu einer fast beliebig grossen Auswahl an Musik und bei Netflix könnt ihr euch Filme und Serien à gogo reinziehen. Bevor es diese Streamingdienste gab, mussten Teenager einen Grossteil ihres Sackgeldes für Musik und Filme aufwenden und erhielten dafür nur einen Bruchteil des Angebotes.
Dafür gehörten ihnen die CDs und DVDs für alle Ewigkeiten. Wer hingegen als Lizenznehmer seine Monatsgebühr nicht bezahlt, steht mit leeren Händen da. Wer seine Musik oder seinen Roman bei iTunes oder Amazon käuflich erworben hat, kann zudem keineswegs uneingeschränkt damit machen, was er will. Eine CD kann man seinem besten Freund ausleihen, bei iTunes ist dies bekanntlich ein Ding der Unmöglichkeit, genauso wie mit einem Kindle. «Die Vereinbarungen, die diese Produkte begleiten, insistieren darauf, dass der Käufer bloss lizenziert ist, sie zu gebrauchen und verbieten ausdrücklich, dass er sie ausleihen, wiederverkaufen, verändern oder reparieren darf», schreiben Perzanowski/Schultz.
Der Angriff auf die Privatsphäre
Es geht nicht nur darum, was wir als Lizenznehmer nicht machen dürfen, es geht darum, was die Lizenzgeber alles mit uns anstellen können. Netflix weiss haargenau, wie ihr euren Film oder Serie anguckt und kennt eure Vorlieben im Detail. Dasselbe trifft für Amazon zu, wenn ihr euren Krimi auf Kindle liest. Im Zeitalter von Big Data gewinnt dieses Knowhow zunehmend an Wert – ganz abgesehen von den Folgen, die das für deine Privatsphäre haben kann.
Amazon, Apple & Co. haben das Prinzip Lizenz anstatt Eigentum nicht erfunden. Hersteller von Rasierapparaten verkaufen ihre Geräte schon längst mit den nur dazu passenden und daher schweineteuren Klingen. Dasselbe gilt auch für die Hersteller von Kaffeemaschinen und Druckern. Doch im Internet-Zeitalter wird dieses Prinzip gleichzeitig auf die Spitze getrieben und auf weitere Bereiche ausgedehnt.
Im Internet der Dinge wird alles noch schlimmer.
Verantwortlich dafür ist das Internet der Dinge. Hinter diesem Begriff steckt das Phänomen, dass Maschinen beginnen, untereinander und mit den Menschen zu kommunizieren. Ein Lift oder ein Auto meldet beispielsweise an, wenn es eine Serviceleistung braucht.
Für die Kommunikation innerhalb des Internets der Dinge ist Software zuständig. Diese wird ebenfalls mehrheitlich lizenziert. Die Folge davon ist, dass beispielsweise ein Bauer seinen Traktor nicht mehr selbst reparieren kann, sondern ihn zu einem fremdbestimmten Zeitpunkt zu einem lizenzierten Vertreter schicken muss.
Werden Autos bald nur noch geteilt?
Dasselbe gilt auch für Privatautos. Sie verwandeln sich immer mehr in Smartphones auf vier Rädern mit dazugehörender, lizenzierter Software. Privatautos sind daher bald nur noch bedingt Privateigentum. Sollten sich bald selbstgelenkte Wagen auf unseren Strassen durchsetzen, dann werden wir diese möglicherweise sharen, aber nicht mehr besitzen.
Privateigentum gilt als Grundlage der bürgerlich-liberalen Gesellschaft und des freien Marktes. Als sein natürlicher Feind galt bisher der Sozialismus. Im Zeitalter der um sich greifenden Lizenzen müssen wir diesbezüglich umdenken. «Ein Markt, der von komplexen Bündeln von Lizenz-Rechten beherrscht wird, untergräbt das Prinzip des Privateigentums», so Perzanowski/Schultz. «Es herrschen weder Klarheit noch Gewissheit, und von der Öffentlichkeit werden hohe Kosten abverlangt.»