Mauerfall
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Mauerfall 1989

«Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben» – so verlief das Wendejahr 1989

Der Fall der Berliner Mauer war vor 30 Jahren der Höhepunkt eines denkwürdigen Jahres. Ein Rückblick auf wichtige Weichenstellungen beim Zerfall des Ostblocks.

Nach dem Ende der Wende kursierte ein Bonmot: In Polen dauerte die Revolution zehn Jahre, in Ungarn zehn Monate, in der DDR zehn Wochen, in der Tschechoslowakei zehn Tage und in Rumänien zehn Stunden.

Sinngemäss stimmt dies sogar, denn was 1980 mit dem Streik auf der Danziger Lenin-Werft begonnen hatte, entwickelte 1989 eine nie für möglich gehaltene Dynamik. Innerhalb weniger Monate lösten sich die Ostblockstaaten aus dem Einflussbereich der Sowjetunion, und dies erst noch auf überwiegend friedliche Weise. Eine Chronologie:

6. Februar: Runder Tisch in Polen

Mauerfall
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In Warschau beginnen die Gespräche am Runden Tisch zwischen der polnischen Regierung und der seit der Verhängung des Kriegsrechts 1981 verbotenen Gewerkschaft Solidarność. Am 17. April wird das Verbot offiziell aufgehoben.

2. Mai: Ein Loch im Eisernen Vorhang

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Ungarn beginnt mit dem Abbau der Sicherungsanlagen an der Grenze zu Österreich. Der Eiserne Vorhang, der West- und Osteuropa während vier Jahrzehnten teilte, wird löchrig.

4. Juni: Wahlen in Polen

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In Polen finden die ersten halbwegs freien Wahlen im Ostblock statt. 65 Prozent der Sitze im Parlament sind für die Kommunisten und die mit ihnen verbündeten «Blockparteien» reserviert, die restlichen gehen mit einer Ausnahme alle an Kandidaten von Solidarność.

4. Juni: Tiananmen-Massaker

Die friedlichen Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking werden von der chinesischen Führung brutal niedergeschlagen. In Osteuropa fürchten viele, den aufkeimenden revolutionären Bewegungen werde es ähnlich ergehen.

7. Juli: Ende der Breschnew-Doktrin

Der Warschauer Pakt widerruft die nach dem früheren sowjetischen Parteichef Leonid Breschnew benannte Doktrin, wonach die Ostblockstaaten nur eine eingeschränkte Souveränität geniessen. An ihre Stelle tritt die «Sinatra-Doktrin» von Michail Gorbatschow, die den osteuropäischen Ländern erlaubt, ihren eigenen Weg zu gehen. Der Name bezieht sich auf den Song «My Way», der in Frank Sinatras Version berühmt wurde.

23. August: Baltischer Weg

Auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Hitler-Stalin-Pakt entsteht in den drei baltischen Sowjetrepubliken die längste Menschenkette der Geschichte. Etwa zwei Millionen Teilnehmer bilden auf einer Länge von rund 600 Kilometern den Baltischen Weg von Tallinn (Estland) über Riga (Lettland) bis Vilnius (Litauen). Sie fordern Freiheit und Unabhängigkeit von der Sowjetunion.

4. September: Erste Montagsdemo
In Leipzig findet die erste Montagsdemonstration statt. Erstmals seit Beginn der Friedensgebete in der Nikolaikirche im Mai formiert sich im Anschluss eine Kundgebung. Rund 1000 Personen demonstrieren gegen die Staatssicherheit und für Reisefreiheit.

11. September: Ungarn öffnet die Grenze

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Nach Gesprächen zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Miklós Németh öffnet Ungarn seine Westgrenze offiziell für DDR-Bürger. Tausende nutzen die Gelegenheit zur Flucht, an den Übergängen nach Österreich bilden sich lange Staus.

30. September: Genscher in Prag

Aussenminister Hans-Dietrich Genscher verkündet vom Balkon der überfüllten Botschaft der BRD in Prag, dass die Ausreise der dort versammelten 6000 DDR-Bürger genehmigt wurde. Rund 17'000 Flüchtlinge fahren in den folgenden Tagen in versiegelten Sonderzügen durch die DDR in die BRD.

7. Oktober: Letztes Hurra der DDR

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Die DDR feiert den 40. Jahrestag ihrer Gründung. Am Rande kommt es zu Demonstrationen, die gewaltsam niedergeschlagen werden. Michail Gorbatschow ermahnt DDR-Staatschef Erich Honecker, sich dem Wandel nicht zu verschliessen: «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.» Wie der legendäre Satz entstand, ist umstritten.

9. Oktober: Das Wunder von Leipzig

Rund 70'000 Menschen nehmen mit der Parole «Wir sind das Volk!» an der bislang grössten Montagsdemonstration in Leipzig teil. Die Angst geht um vor einem Massaker nach Pekinger Vorbild, doch niemand in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) will die Verantwortung für eine gewaltsame Auflösung übernehmen. Das «Wunder von Leipzig» wird zum Wendepunkt der friedlichen Revolution in der DDR.

17. Oktober: Honecker wird gestürzt

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Erich Honecker wird vom SED-Politbüro abgesetzt. Sein Nachfolger Egon Krenz kündigt Reformen in der DDR an.

4. November: Grossdemo in Berlin
Hunderttausende nehmen an der grössten Massenkundgebung in der Geschichte der DDR auf dem Berliner Alexanderplatz teil. Sie fordern freie Wahlen und Meinungsfreiheit.

9. November: Die Mauer fällt

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Die DDR-Führung beschliesst, ihren Bürgern Reisefreiheit zu gewähren. Politbüromitglied Günter Schabowski erklärt an einer Pressekonferenz fälschlicherweise, dies sei «sofort» der Fall. Tausende drängen an die Grenzübergänge nach Westberlin, die kurz vor Mitternacht geöffnet werden. Die Mauer ist nach 28 Jahren gefallen.

17. November: Die Samtene Revolution

In Bratislava und Prag finden die grössten Kundgebungen seit der Niederschlagung des Prager Frühlings 21 Jahre zuvor statt. Das Regime leistet keinen Widerstand. Es ist der Beginn der Samtenen Revolution in der Tschechoslowakei. Eine Woche später tritt die Führung der Kommunistischen Partei geschlossen zurück.

22. Dezember: Das Tor ist offen

Das Brandenburger Tor in Berlin wird erstmals seit dem Mauerbau 1961 wieder geöffnet, in Anwesenheit von Helmut Kohl, DDR-Ministerpräsident Hans Modrow und dem Westberliner Bürgermeister Walter Momper.

25. Dezember: Tod eines Tyrannen

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Nicolae Ceaușescu wird abgesetzt und versucht zu fliehen, doch das Militär hält ihn auf. Am Weihnachtstag kommt es zum Prozess vor einem Militärgericht, in dem der Diktator und seine Ehefrau Elena im Eilverfahren zum Tode verurteilt und durch ein Erschiessungskommando hingerichtet werden. Danach endet die Gewalt in Rumänien.

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Quelle: watson.ch
veröffentlicht: 7. November 2019 17:21
aktualisiert: 8. November 2019 11:25
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