«Wir kämpfen für unseren Stammplatz am Graben – auch an Weihnachten», teilen die Wochenmarktfahrer auf den Protestplakaten mit.
Foto: Nadja Rohner/Aargauer Zeitung
Protestaktion

Aarauer Marktbetreiber sauer: «Was die Stadträtin sagt, ist ein Affront»

Der Aarauer Stadtrat will den Weihnachtsmarkt 2023 auf den Graben ausdehnen. Dann müssten aber die Wochenmarkt-Standbetreiber ausweichen. Diese sind damit überhaupt nicht einverstanden und haben eine Protestaktion lanciert.

Ob beim Anstehen vor den Äpfeln, beim Schwatz am Fischlibrunnen oder beim Kafi vor dem «Jaisli»: Rund um den Wochenmarkt gab es am Samstag nur ein Thema: Die Wut der Marktstandbetreiber auf die Stadt. Ausgelöst durch ein E-Mail am Montag: Darin teilte der Leiter Gewerbepolizei den Wochenmarktbetreibern mit, dass der Weihnachtsmarkt in diesem Jahr zusätzlich noch die äussere Grabenseite zwischen Fischlibrunnen und Schlossplatz belegen werde. Dies habe zur Folge, dass 14 Wochenmarktstände (von 43) während sechs bis sieben Samstagen im November und Dezember weichen müssen.

«Als Ausweichstandorte stehen Plätze im Strassenzug Zwischen den Toren und in der Igelweid zur Verfügung», heisst es in dem Mail. «Auch werden die derzeitigen Lücken im Marktareal mit den Ständen, welche dem Weihnachtsmarkt weichen müssen, geschlossen.» Ziel sei, «dass möglichst alle Standbetreiberinnen und Standbetreiber einen Platz erhalten». Gleichzeitig sagte die zuständige Stadträtin, Silvia Dell’Aquila, gegenüber der «Aargauer Zeitung»: «Der Gemüsemarkt ist ja nur einen halben Tag pro Woche da, und in den Wintermonaten sowieso kleiner als sonst. Und es gibt gute Lösungen für die Betroffenen.»

«November und Dezember sind starke Monate»

Das hatte die Marktfahrer in Rage gebracht. «Wir arbeiten die ganze Woche hart für diesen halben Tag. Was die Stadträtin da sagt, ist ein Affront», sagt eine der langjährigen Marktfahrerinnen. Sie stellt ausserdem in Abrede, dass der Markt in der Adventszeit signifikant kleiner sei. «November und Dezember sind starke Monate. Erst im Januar und Februar wird es zäh, da machen einige von uns Pause.»

Auch Marktfahrerin Christa Strub aus Attelwil betont, die Standbetreiber seien auf die Einnahmen dieser Monate stark angewiesen – «wir machen das schliesslich nicht als Hobby» – und jede Verschiebung eines Standes bedeute ein Minus im Umsatz. «Kunden sind Gewohnheitstiere», erklärt eine andere Marktfahrerin. «Wenn sie uns nicht dort finden, wo wir immer sind, meinen sie, wir seien nicht da. Die Stadt denkt wahrscheinlich, sie nimmt uns nichts weg, weil sie uns einen Alternativplatz anbietet; leider ist das absolut falsch.»

Kunden würden nach Standortwechseln manchmal monatelang nicht merken, dass es den Stand noch gibt. «Es kann doch nicht sein, dass wir, die jeden Samstag und bei jedem Wetter die Stadt beleben, wegen einer Hundsverlochete weichen müssen.»

Protestaktion gestartet

Nur die Faust im Sack machen, das wollen die Marktfahrenden nicht. Im Gegenteil – sie starteten eine Protestaktion. Am Samstag hing an jedem Stand ein Plakat mit Slogans wie: «Wo findet man regionale Produkte? Wer übernimmt unsere Defizite? Muss Tradition Neuem weichen? 7 Wochen weniger Lohn, warum? Wo bleibt der Mieterschutz? Grabenkämpfe – muss das sein?» Und es steht auch: «Fragt den Stadtrat!» Das ist ernst gemeint: Die Marktfahrer verteilten Flyer mit QR-Codes, die direkt zu den Mailadressen der Stadtratsmitglieder führen.

Die Aktion schlug ein, der Verdruss der Marktfahrer ist nun auf die Kundschaft übergeschwappt. Ein Stammkunde findet, der Weihnachtsmarkt sei «sowieso ein Pfupf» gewesen und die geplanten Standverschiebungen «ein Schnellschuss». Seine Frau schiebt nach, der Wochenmarkt sei ein wichtiges, 200-jähriges Kulturgut, der Weihnachtsmarkt «nur für den Spass».

Eine weitere Besucherin sagt, sie habe die Stadt auch schon schriftlich darum gebeten, den Graben doch während des Markts komplett verkehrsfrei zu machen. Es müsse selbstverständlich sein, «dass die Bauernfamilien aus der Region hier Platz finden und nicht dafür kämpfen müssen», sagt eine Kundin.

«Wenn der Markt nicht mehr da ist, geht man nicht nach Aarau»

Ein Mann, der ebenfalls seit vielen Jahren hier einkauft, sagt: «Wenn der Markt nicht mehr da ist, geht man nicht nach Aarau.» Sie finde es «super, dass die Markttreiber mutig für sich einstehen», sagt eine Kundin. Und eine andere streicht heraus, dass man sonst nirgends diese Mischung aus Regionalität, Qualität und Kundendienst finde.

Die Plakataktion sei «eine Protestmarke», sagt Ruedi Käser. Er ist als Co-Präsident des im Oktober 2022 gegründeten Vereins Wochenmarkt Aarau im Austausch mit der Stadt. Käser kritisiert vor allem die Kommunikation: Aus seiner Sicht hätte die Stadt das Gespräch mit den Marktfahrenden suchen müssen, sobald das Begehren des Weihnachtsmarkts nach mehr Platz eingegangen war – anstatt die langjährigen Standbetreiber einfach so vor vollendete Tatsachen zu stellen. «Es scheitert immer daran, dass man nicht von Anfang an mit allen redet – und dann aufläuft.» Schliesslich gehe es hier nicht um Parkplatzbewirtschaftung, sondern um Menschen und ihren Lebensunterhalt.

Marktbetreibende sind kompromissbereit

Vorgesehen ist nun laut Käser, dass der Verein ein Marktkonzept erarbeitet und es der Stadt als Vorschlag einreicht. «Das gibt es bisher nicht, deshalb ist es relativ einfach, den Markt zu verändern. Vom Konzept erhoffen wir uns eine stabile Lösung, damit wir nicht jedes Jahr einen Affentanz haben und dieselben Dinge rauf und runter diskutieren müssen», erklärt er.

Die Marktbetreibenden sind verärgert, aber durchaus kompromissbereit. Mehrere sagen, grundsätzlich sei das Einvernehmen mit der Gewerbepolizei gut, und man müsse halt reden miteinander. Was sie sich von der Stadt wünschen, sei ein besseres Verständnis für die Dynamik eines Markts.

(Nadja Rohner, Aargauer Zeitung)

Quelle: Aargauer Zeitung
veröffentlicht: 25. Februar 2023 17:41
aktualisiert: 25. Februar 2023 17:41
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